Szenario 1 | Regierungspräsidium vs. mittelständisches Unternehmen
Einblick Bauvorhaben
Sanierung einer vierspurigen Straßenbrücke aus den 1970er-Jahren, die über 8 Bahnhofsgleise mit Oberleitung verläuft. Im ersten Schritt soll der Berührungsschutz entfernt werden, der ein unbeabsichtigtes Berühren der Oberleitung (15.000 Volt) verhindert. Die Arbeiten werden vom Regierungspräsidium an Firma X vergeben, einem mittelständischen Unternehmen. Firma X besitzt weitreichende Erfahrung in der Brückensanierung. Die Bahn ist über alle Arbeiten informiert und stimmt der Maßnahme zu, da dadurch die Gefährdung für herabfallende Betonteile verringert wird.
Was ist das Problem?
Bei den beginnenden Arbeiten wird der Berührschutz in Segmente von 4 auf 2 Meter geteilt. Die Arbeiten finden in der Betriebsruhe ohne Zugfahrten statt. Beim Entfernen der ersten Betonelemente – noch außerhalb des Bahnbereiches – läuft alles ohne Probleme. Im Bereich der Gleise und der Oberleitung fällt trotz Sicherung und gleicher Arbeitsweise ein Betonsegment auf Oberleitung und Gleise.
Es kommen keine Menschen zu Schaden, doch die Oberleitung und ein dazugehöriges Nebengleis sind erheblich beschädigt. Sie müssen aufwendig instand gesetzt werden. Die daraus entstehenden Mehrkosten durch die Schadensregulierung und Bauablauf-Verzögerung werden vom Regierungspräsidium ohne Erklärung an die Firma X weitergereicht. Ein geplantes Gespräch zur weiteren Vorgehensweise wird von der Firma X auf Anraten des zugezogenen Rechtsanwalts Y verhindert.
Die Situation ist verfahren, die Baustelle steht.
So argumentieren die Konfliktparteien
Firma X:
- Regierungspräsidium hat nicht alle Pläne weitergereicht
- Notwendige weitere Untersuchung zur Lage der Spannglieder wurde nicht erteilt
- Sachbearbeiter haben gewechselt, Informationen gingen verloren
- Hinweise der Firma wurden nicht wahrgenommen
- Zu wenig Baubesprechungstermine
- Protokolle waren nicht aussagekräftig genug
Regierungspräsidium:
- Gefährdungsbeurteilung wurde nicht ausreichend erhoben
- Rückbauplan zu dürftig
- Nicht fachgerechte Ausführung
- Kein Notfallplan
- Bauleiter war zu selten auf der Baustelle
- Kein ausreichender Informationsfluss innerhalb der Baustelle
- Keine klaren Verantwortlichkeiten
- Keine Transparenz beim Umgang mit dem Schaden
Was ist der Mediationsansatz?
Interessen klären
Interesse Firma X: keine weiteren Kosten durch Unfall, keine zeitliche Verzögerung, andere Projekte stehen an, Baustelle muss weiterlaufen, Großgeräte sind gebunden und Firma verdient kein Geld
Interesse Regierungspräsidium: keine Bauverzögerung, schnelle und kostenneutrale Regulierung der Schäden, keine zusätzliche Arbeit, Bauzeiten müssen eingehalten werden
Bedürfnisse benennen
Bedürfnis Firma X: schlechte Werbung, Imageverlust, ausstehende Gelder gefährden die Existenz von Mitarbeitern, ausbleibende Zahlungen der Versicherung könnten Insolvenz verursachen, keine weiteren Aufträge des Regierungspräsidiums
Bedürfnis Regierungspräsidium: Angst vor schlechter Presse (Renommee), Angst vor Aufsichtsbehörde
Wie sieht die Mediationsvereinbarung aus?
Die Parteien erarbeiten Lösungsoptionen und vereinbaren,
- den weiteren Bauablauf ohne Verzögerung fortzuführen
- die Ursache für den Unfall gemeinsam zu klären; Das Ergebnis findet Eingang in die Qualitätssicherung für künftige Ausschreibungen.
- dass die Tagespresse ausschließlich sachlich informiert wird
- dass kein Rufmord betrieben, sondern auf die gute Zusammenarbeit zur Lösung hingewiesen wird
- dass eine weitere Zusammenarbeit in anderen Projekten und Ausschreibungen nicht ausgeschlossen wird
Firma X und Regierungspräsidium einigen sich in den Bereichen Mehrkosten und Zeit. Die Firma X wird
- den weiteren Bauablauf ohne Verzögerung fortführen
- das geplante Bauende (vor dem Wintereinbruch) unter allen Umständen einhalten; daraus entstehende Mehrkosten übernimmt der Bauherr
- die Mehrkosten durch den Unfall zum großen Teil von der Versicherung erstattet bekommen
- 70% der Restkosten übernehmen, der Bauherr trägt 30%